Onlineseminar V - Inobhutnahme zwischen sozialpädagogischer Krisenhilfe und Behindertenhilfe
Ein Blick in die Praxis
Die Praxis der Inobhutnahme wird in der Diskussion um eine inklusiv ausgestaltete Kinder- und Jugendhilfe oftmals vernachlässigt. Zumindest die Zuständigkeiten scheinen hier klar geregelt, denn nach der Feststellung einer Kindeswohlgefährdung oder der Bitte um lnobhutnahme liegt die Verantwortlichkeit grundsätzlich bei der Jugendhilfe - auch dann, wenn junge Menschen mit Behinderung betroffen sind, die ansonsten Eingliederungshilfe im Rahmen der Sozialhilfe erhalten (vgl. Watty 2020). Nichtsdestotrotz sind bislang nur wenige Inobhutnahmestellen auf die damit verbundenen Anforderungen vorbereitet. Doch wie können und müssen sich Inobhutnahmen weiterentwickeln, um den Bedarfen aller jungen Menschen gerecht zu werden? Welche Voraussetzungen spielen dabei eine Rolle und wie können fachlich-konzeptionelle Überlegungen aussehen? Wir haben mit Lucia Watty (Ki d S), Sachgebietsleiterin einer inklusiv pädagogischen Inobhutnahmegruppe aus Köln, und zusammen mit den 99 Teilnehmer*innen des Online-Seminars über die Herausforderungen und Gelingensbedingungen einer inklusiven Inobhutnahme gesprochen.
Rückfragen kamen vor allem zu den Rahmenbedingungen der pädagogischen Arbeit auf: Neben Pädagog*innen besteht das Team auch aus Kinderpfleger*innen, alle Räumlichkeiten sind möglichst barrierefrei ausgestaltet und liegt eine Pflegestufe vor, wird über die Krankenkassen mit einem externen Pflegedienst zusammengearbeitet. Die Mehrheit der jungen Menschen wird nach der Inobhutnahme in die Eingliederungshilfe überführt. In den meisten Fällen können sie während ihres Aufenthalts in der Inobhutnahmeeinrichtung weiterhin ihre bisherige Schule bzw. Kindertagesstätte besuchen. Die Kosten für den Fahrtweg werden dann allerdings nicht vom Schulamt, sondern vom Jugendamt getragen. Finanziert wird die Inobhutnahme ausschließlich vonseiten des öffentlichen Jugendhilfeträgers. Kenntnisse über spezifische Behinderungsbilder können die Mitarbeitenden in einrichtungsinternen Schulungen erwerben.
Die gemeinsame Diskussion hat gezeigt, dass die pädagogischen Herausforderungen vor allem in der adäquaten Gestaltung eines Schutzraumes liegen, der für alle jungen Menschen greift.
In Absprache mit dem Jugendamt muss in Einzelfällen ein sogenanntes Deeskalationsteam hinzugezogen werden, um Gefahren für die Inobhut genommenen Kinder und Jugendlichen abzuwenden. Dieses muss durch das Jugendamt beauftragt und finanziert werden. Das Deeskalationsteam arbeitet weder pädagogisch noch führt es freiheitsentziehende Maßnahmen durch. Die Inobhutnahmestelle betrachtet diese leider immer wieder notwendigen Einsätze als durchaus kritisch und erarbeitet immer wieder alternativen, um solch notwendigen Einsätze auf ein Minimum zu reduzieren.
Zukünftig soll die Altersstruktur in dem Leistungsangebot noch einmal ausdifferenziert werden. Geplant sind außerdem Schulungen in Bezug auf die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF-CY). Inklusion wird in der Einrichtung bereits jetzt als eine fachliche Anforderung formuliert und getragen. Das Beispiel macht deutlich, dass inklusive Lösungen gelingen können und gibt Mut, sich im Kontext der Inobhutnahme sowohl konzeptionell als auch fachlich zukünftig stärker an den Bedarfen aller jungen Menschen auszurichten!