Fachtag II
Am 10. Februar 2022 fand der zweite Online-Fachtag des Modellprojekts "Inklusion jetzt!" statt.
Mit der jüngsten Reform des Kinder- und Jugendhilferechts wird die Umsetzung der sogenannten inklusiven Lösung zu einer der zentralsten Weiterentwicklungsaufgaben in der Kinder- und Jugendhilfelandschaft dieser Zeit. Inklusion stellt sich dabei nicht nur als ein Menschenrecht der Adressatinnen und Adressaten in der Kinder- und Jugendhilfe dar, sondern prägt auch die Zukunftsfähigkeit ihrer Organisationen. Der Fachtag nahm daher zusammen mit über 100 Teilnehmenden aus unterschiedlichen Handlungsfeldern der Kinder- und Jugend- sowie der Eingliederungshilfe die aktuellen Entwicklungen und Innovationen auf dem Weg zu einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe in den Blick: angefangen bei der überörtlichen Perspektive der verantwortlichen Akteurinnen und Akteure auf Landesebene (Dr. Christian Lüders) über die kommunale Ebene öffentlicher Träger (Martin Albinus) bis hin zu konkreten Praxisbeispielen und Ansatzpunkten in der Leistungserbringung vor Ort (Workshopverantwortliche). Ziel des Fachtags war es, die bisherigen Erfahrungen des Modellprojekts "Inklusion jetzt - Entwicklung von Konzepten für die Praxis" in einer breiten Fachöffentlichkeit vor und zur Diskussion zu stellen und daraus gemeinsam mögliche nächste Handlungsschritte zur Umsetzung der sogenannten "inklusiven Lösung" abzuleiten.
Dr. Christian Lüders, Vorsitzender des bayrischen Landesjugendhilfeausschusses, stellte in seinem Vortrag über "Die ‚inklusive Lösung‘ - Entwicklungsbedarfe, Umsetzungsmöglichkeiten und Anknüpfungspunkte aus überörtlicher Perspektive" die notwendige Verantwortungsgemeinschaft zwischen den verschiedenen Akteur*innen der Kinder- und Jugend- wie auch Eingliederungshilfe heraus. Er machte deutlich, dass es zunächst darum ginge, die nun geltenden Vorgaben des KJSG umzusetzen. Neben der Zusammenarbeit mit Selbstvertretungen und Vertretungen der Eingliederungshilfe im Rahmen der Jugend- und Landesjugendhilfeausschüsse (§71 SGB VIII) gelte es zum Beispiel auch Vereinbarungen zu den Qualitätsmerkmalen einer inklusiv ausgerichteten Aufgabenwahrnehmung (§77 SGB VIII) auf Landesebene zu treffen. Einen intensiven Dialog zwischen Jugend- und Eingliederungshilfe braucht es mit Blick auf die Verfahrenslots*innen, die Hilfeplanung und Jugendhilfeplanung sowie die Übergangsgestaltung für junge Volljährige. Ansatzpunkte hierfür könnten nicht nur bestehende Gremien der Jugend- und Eingliederungshilfe oder der kommunalen Spitzenverbände, sondern auch Runde Tische, Forschungs- und Praxisprojekte sein. Darüber hinaus wären mit geplanten weiteren Gesetzgebungsverfahren, das laut Gesetz bis 31.12.2026 abgeschlossen sein soll, eine Fülle weiterer Fragen verbunden (vgl. § 107 SGB VIII), die jetzt dringend diskutiert werden müssten.
Martin Albinus, Leiter des Fachbereichs Kinder, Jugend und Familie der Stadt Braunschweig, stellte in seinem Vortrag "Inklusion als Qualitätsmerkmal" den gemeinsam entwickelten kommunalen Aktionsplan Inklusion vor, mit dem der schrittweise Strukturaufbau zur Umsetzung der großen Lösung in der Stadt Braunschweig bereits begonnen hat (siehe Dokumentation auf dieser Seite). Während die Bildung von multiprofessionellen Teams und gemeinsamen Schulungen dabei besonders förderlich waren, wurden unklare Systemkonturen und Lösungsideen wie zum Beispiel die gesetzlich vorgesehene Einführung von Verfahrenslots*innen eher als hinderlich bewertet.
In den parallelen Workshoprunden am Nachmittag erhielten die Teilnehmenden Einblick in unterschiedliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten und konzeptionelle Überlegungen inklusiver Leistungsangebote: von der Neuentwicklung einer inklusiven Heilpädagogischen Tagesgruppe und inklusive Ansätze in der Hilfeplanung über die Gestaltung inklusiv-partizipativer Entwicklungsprozesse mit der Methode Planning for Real und Beteiligungskonzepte für junge Menschen in der Eingliederungshilfe bis hin zu Stellschrauben einer inklusiven Inobhutnahme und den Chancen, die selbstführende Teams für eine inklusive Jugendhilfeeinrichtung bieten.
Das Fazit das Fachtags macht deutlich, dass die punktuellen Innovations- und Entwicklungsansätze auf den unterschiedlichen Ebenen von Bund, Ländern und Kommunen nur dann den notwendigen Strukturwandel hin zu einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe voranbringen können, wenn wir die damit verbunden Chancen nicht erst in den nächsten Jahren, sondern schon jetzt gemeinsam angehen!