Abschlussveranstaltung Wegweiser Verfahrenslots*innen
Abschlussveranstaltung "Wegweiser Verfahrenslots*innen - ein Projekt zur Unterstützung der Einführung von Verfahrenslots*innen nach § 10b SGB VIII" Werkzeugkasten II am 13. Dezember 2023
Am 13. Dezember 2023 fand die Abschlussveranstaltung zum Werkzeugkasten II des besonderen Vorhabens des Bundes, gefördert durch das BMFSFJ, statt. Das Teilprojekt wurde durch den Evangelischen Erziehungsverband e.V. (EREV) und den Bundesverband Caritas Kinder- und Jugendhilfe (BVkE) von Oktober 2022 bis Dezember 2023 durchgeführt und hatte das Ziel, Empfehlungen für ein qualifizierendes Curriculum für Verfahrenslotsinnen und -lotsen zu entwickeln. Die Teilnehmendenzahl konnte durch die Umstellung von der zunächst in Präsenz geplanten Veranstaltung in Frankfurt a.M. auf ein online-Format nahezu verdreifacht werden. Den ca. 80 Teilnehmenden wurden in der Veranstaltung sowohl die rechtlichen Rahmungen, die erarbeiteten Ergebnisse, sowie Berichte von bereits aktiven Verfahrenslotsinnen und -lotsen und bereits durchgeführten Modellprojekten dargestellt.
Den Auftakt der Veranstaltung bildete ein digitales Grußwort der Parlamentarischen Staatssekretärin Ecin Deligöz, die skizziert, welche Rolle das dreiteilige Besondere Vorhaben des Bundes im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses einnimmt.
Den inhaltlichen und rechtlichen Einstieg bot im Folgenden Stefanie Ulrich, Constitutional Coaching®, der es in kurzer Zeit eindrücklich gelang, einen umfassenden Überblick zu geben und ein Verständnis für die aktuellen sowie zukünftigen Umsetzungsbedarfe, das Spannungsfeld von Bundesrecht und kommunaler Selbstverwaltungshoheit sowie die Rolle und die vielfältigen Aufgaben und Herausforderungen der Verfahrenslotsinnen und -losten zu schaffen.
In einem weiteren Schritt stellten die Projektverantwortlichen Judith Owsianowski, EREV, und Daniel Kieslinger, BVkE,die Ergebnisse des Werkzeugkasten II vor und verdeutlichten sowohl die Entstehung unter umfassender Beteiligung von Fachexpertinnen und -experten sowie Adressatinnen und Adressaten, als auch die Logik der entstandenen Empfehlungen zu einem qualifizierenden Curriculum für die Tätigkeit der Verfahrenslotsinnen und -lotsen dar. Der Aufbau des Handbuches in zwölf Modulen, gegliedert jeweils in Lerninhalte, Lernziele und Methodenvorschläge, bietet potenziell die Möglichkeit, auch mit unterschiedlichen Qualifizierungen und grundständischen Ausbildungen, eine individuell zugeschnittene Weiterqualifikation zusammenzustellen. Die Projektverantwortlichen stellten zudem die wiederkehrenden Fragestellungen im Zusammenhang mit der Einführung der Verfahrenslotsinnen und -lotsen heraus. Als besonders bedeutsam wurden sowohl die umfängliche Beteiligung, die konsensbildende Vorgehensweise bei gleichbleibender länder- und kommunalspezifischer Vielfältigkeit, die mögliche Nutzbarkeit, als auch die freie Verfügbarkeit der Ergebnisse benannt.
In einem weiteren Beitrag stellte Florian Gerlach vom Institut für das Recht der Sozialen Arbeit (IReSA), den Aufbau und die Inhalte der Werkzeugkästen I, "Digitale Unterstützung der Tätigkeit der Verfahrenslotsinnen und Verfahrenslosten"
und die in Werkzeugkasten III entwickelten Onlinekurse und das damit verbundene Lernmanagementsystem vor.
Werkzeugkasten I umfasst eine App, die "Intelligente Interviews" beinhaltet, welche z.B. eine Auswertung möglicher Anspruchsgrundlagen, der sachlichen Zuständigkeiten und gegebenenfalls des aktuellen Verfahrensstandes ermöglicht. Zudem kann über dieses Tool ein Vorschlag zum weiteren Vorgehen generiert werden. Neben diesen und weiteren Optionen bietet die App eine Kommunikationsplattform zum Austausch der Verfahrenslotsinnen und -lotsen und ein Lexikon, welches mit verlinkten Gesetzestexten und Urteilen unterfüttert ist.
An der Entstehung des Werkzeugkasten III zur Entwicklung der Onlinekurse und des Lernmanagementsystem waren Mitarbeitende von Jugendämtern beteiligt, die zum Ende der Projektlaufzeit an einer Prüfung zur Wissensabfrage teilgenommen haben.
Einen Blick auf den aktuellen Umsetzungsstand der Einführung von Verfahrenslotsinnen und Verfahrenslotsen boten in einem weiteren Beitrag erneut die Projektverantwortlichen Judith Owsianowski, EREV und Daniel Kieslinger, BVkE, indem sie die Ergebnisse der beiden bundesweiten Befragungen von Jugendämtern zusammengefasst darstellten:
Die erste Befragung erfolgte im März und April 2023 mit 152 Teilnehmenden, die zweite Befragung im September und Oktober 2023 mit 208 Teilnehmenden. Diese geben zum großen Teil an, überwiegend in Bayern und Nordrhein-Westfalen, gefolgt von Niedersachsen und Baden-Württemberg tätig zu sein.
Die Umsetzung der Einführung von Verfahrenslotsinnen und -lotsen wurde in der ersten Befragung mit 34% (und 11% bereits besetzte Stellen) und in der zweiten Befragung mit 60% (und 13% bereits besetzte Stellen) bestätigt.
Beide Befragungen belegen gleichermaßen, dass sich die Eingruppierung überwiegend zwischen SuE 12 und SuE 15 bewegt. Ebenfalls in den meisten Fällen erfolgt die Zuordnung der Verfahrenslotsinnen und -lotsen zu einer Stabsstelle (oder einem Teil davon) und zur Jugendamtsleitung. Die Aufgaben nach Absatz 1 und Absatz 2 § 10b SHB VIII werden überwiegend als gleichwertig betrachtet.
Der zweite Befragungsdurchlauf wurde durch einige zusätzliche Fragen erweitert: Die Stellen- oder Personalbemessung in den jeweiligen Jugendämtern zeigt sich als äußerst heterogen und folgt keiner einheitlichen Logik. Häufig sind die Hintergründe für die Stellenbemessung nicht bekannt. Darüber hinaus wurde gefragt:
Woran ist die Qualität der Arbeit von Verfahrenslotsinnen und -lotsen messbar? Antworten hierauf bezogen sich z.B. auf die Bekanntheit der Personen, auf die Zufriedenheit der Adressatinnen und Adressaten sowie auf den Umfang der Netzwerkarbeit. In Bezug auf die Frage, welche Kriterien bei der Stellenbesetzung bestehen, gaben 82% der Befragten an eine sozialpädagogische oder vergleichbare Grundqualifikation vorauszusetzen, 42% gaben an, dass die Qualifikationen im Bereich der Verwaltung und der administrativen Kompetenzen liegen sollten und 16% gaben eine juristische Qualifikation als Voraussetzung an. In 26% werden die Stellen nach Möglichkeit intern besetzt, nach Möglichkeit externe besetzt wird in 7% der befragten Jugendämter. Zudem wurde danach gefragt, an wen die Berichte nach § 10b Abs. 2 gerichtet werden sollen. Hier wurden in den überwiegenden Antworten die Jugendamtsleitung und der Jugendhilfeausschuss benannt. Die Inhalte der Berichte sind zumeist noch nicht definiert. Als ein wesentlicher Schlüsselprozess wird die Kooperation der Verfahrenslotsinnen und Verfahrenslotsen mit der Jugendhilfeplanung identifiziert.
Aus der Praxis:
Den ersten Aufschlag für einen Erfahrungsbericht einer Verfahrenslotsin machte in dem nächsten Beitrag Mona Carolin Schober, Verfahrenslotsin in der Stadt Wilhelmshaven und berichtet über ihre bisherige Tätigkeit. Ihren Beitrag begann sie zunächst mit der Benennung der wesentlichen Stellschrauben für eine gelingende inklusive Kinder- und Jugendhilfe, die beispielsweise eine intensive Aufklärungsarbeit in den Fokus stellt mit dem Ziel, Mitarbeitende (unterschiedlicher Bereiche) zu verbinden, Öffentlichkeitsarbeit voranzubringen, Flyer und Presseartikel zu entwickeln sowie eine intensive Netzwerkarbeit und Beteiligung junger Menschen und deren Familien zu etablieren. Zudem benannte sie die Notwendigkeit, umfassend und in unterschiedlichen Zusammenhängen für die bestehenden Schnittmengen der bisher unterschiedlichen Systeme zu sensibilisieren. Wichtig sei es hierbei insgesamt, Ziele zu formulieren, gegenseitiges Verständnis zu schaffen, eine systematische Dokumentation zu entwickeln, Statistiken zu führen und vor allem, Ausdauer und Motivation in den Prozess einzubringen.
Als weiteren Bericht aus der Praxis gab Gerhard Tröger aus dem Landratsamt Hof einen interessanten Einblick in das Modellprojekt in Bayern, indem er sowohl das Vorhaben vorstellte, als auch einen Erfahrungsbericht seiner Kommune zur Verfügung stellte: Insgesamt sind an dem Modellprojekt zehn Modellkommunen mit unterschiedlichen Grundvoraussetzungen beteiligt. Im Rahmen des Modellprojektes werden unterschiedliche Daten erhoben, wie beispielsweise Zahlen zur Grundqualifikation der tätigen Verfahrenslotsinnen und -lotsen, Angaben zu deren vorherigen Tätigkeiten und Einsatzgebieten sowie Daten zu dem Verfahrensstand beim Erstkontakt mit den Adressatinnen und Adressaten. Hier zeigt sich, dass der Kontakt meist entsteht, bevor die erste Leistung beantragt wurde oder während eines bestehenden Hilfeverlaufes. Die Zugänge erfolgen meist über einen anderen Fachbereich im Jugendamt. Das Alter der Kinder und Jugendlichen lag hierbei überwiegend im Alter von drei bis sechs Jahren und der potenzielle Leistungsanspruch bezog sich zumeist auf Angebote des SGB IX.
Gerhard Tröger zeigte im nächsten Schritt auf, wie das Vorgehen und der Verlauf im Landratsamt Hof erfolgten. Deutlich wurde hierbei, dass es durchgehend notwendig ist, sozialräumliche Netzwerkarbeit und Weiterbildung zu gewährleisten und dass der Austausch innerhalb des Modellprojektes und auch mit anderen Projekten äußerst gewinnbringend waren. Netzwerkarbeit, die tatsächliche Beratung der Adressatinnen und Adressaten und eine umfassende Öffentlichkeitsarbeit wurden als drei leitende Komponenten herausgestellt.
Einen Begleitbericht zur Umsetzung der Einführung von Verfahrenslotsinnen und -lotsen in Rheinland-Pfalz gab Elisabeth Schmutz vom Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz gGmbH. In ihrem Beitrag benannte sie zunächst die Zielsetzung des Projektes: Hierbei gehe es vor allem darum, den Weg zu einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe zu ebnen und dabei den Inklusionsgedanken in Strukturen, Verfahren und Leistungsangeboten dauerhaft zu verankern. Darüber hinaus wird anvisiert, eine Handreichung zur Unterstützung und zum Transfer der Projektergebnisse zu erarbeiten, denn bei der Einführung der Verfahrenslotsinnen und -lotsen gehe es um weitaus mehr, als lediglich um den Wechsel der sachlichen Zuständigkeit. Hierbei ist es hilfreich, dass die Ausgangslage ist in den teilnehmenden Kommunen werden dabei als äußerst heterogen in Bezug auf den aktuellen Stand der Zusammenführung der Systeme sowie den Stand der Entwicklung einer inklusiven sozialen Infrastruktur.
Auch in diesem Beitrag zeigte sich, dass die Perspektive der Adressat*innen, umfassende Klärung von Rollen und Verantwortlichkeiten sowie Zeit und eine umfassende Kommunikation und Kooperation auf unterschiedlichen Ebenen von großer Bedeutung sind. Zur Unterstützung wird deutlich auf die Möglichkeiten der Hospitationen und der Supervisionen für Verfahrenslotsinnen und -lotsen hingewiesen.
Zusammenfassung und Fazit:
Einen abschließenden Ausblick gaben zum Ende der Veranstaltung erneut die Projektverantwortlichen Judith Owsianowski, EREV, und Daniel Kieslinger, BVkE, indem sie häufig gestellte und nach wie vor offene Fragestellungen aufzeigen und damit das Augenmerkt darauf lenken, was bei der Einführung von Verfahrenslotsinnen und -lotsen wesentlich ist, um für die jungen Menschen und ihre Familien tatsächlich unterstützend wirken zu können:
- die Rolle im Hilfeverlauf gegenüber dem ASD
- die interne Rollenklärung bezogen auf den doppelten Auftrag des § 10 b Absatz 1 und 2
- die strukturelle Einbindung mit Sicherstellung der Unabhängigkeit
- die Vergütung beziehungsweise Eingruppierung
- die Stellenbemessung bzw. personelle Ausstattung (Anzahl Planstellen, Fallzahlen, Zeit für eine Beratung, etc.)
- Form und Inhalt der Berichterstattung
- Möglichkeiten zur Initiierung und Unterstützung von Organisationsentwicklungsprozessen
- die Einbindung in bestehende Netzwerke und Identifizierung notwendiger Netzwerkpartnerinnen und -partner
- die Abgrenzung zu anderen beratenden Stellen
- Ermöglichung eines Zugangs zu der Zielgruppe junger Menschen mit Behinderungen und ihrer Eltern und damit verbundene Öffentlichkeitsarbeit
Über diese strukturellen Fragen hinaus wurden auch in Bezug auf die Qualifizierung von Verfahrenslotsinnen und Verfahrenslotsen mögliche Klärungsbedarfe aufgezeigt:
- Was ist der Qualitätsstandard für Verfahrenslotsinnen / -lotsen und wer definiert diesen?
- Gelten die Empfehlungen für ein qualifizierendes Curriculum als Standard?
- Wird eine Zertifizierung von Fortbildungen erfolgen?
- Wie erfolgt die Fortschreibung der Empfehlungen für ein qualifizierendes Curriculum nach Einführung der VL 2024?
- Wird eine Fortschreibung der Empfehlungen für das qualifizierende Curriculum nach 2028 erfolgen?
Abschließend erfolgte ein kurzes Feedback der Teilnehmende, die besonders den umfassend partizipativen Prozess der umfassenden und intensiven Beteiligung als positiv bewerteten.