Impulspapiere
Der Begriff Inklusion kommt aus dem Lateinischen und heißt so viel wie „Einschließen“,
„Einbeziehen“. Verstanden als ein Konzept gesellschaftlichen Zusammenlebens geht
es darum, allen Menschen die gleichberechtigte Teilhabe an einer Gemeinschaft zu ermöglichen,
Teilhabebarrieren zu erkennen und aktiv zu beseitigen.
Inklusion ist in erster Linie ein Menschenrecht. Es begründet sich vor allem in der UNBehindertenrechtskonvention. Das Übereinkommen räumt Menschen mit Behinderung
eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft ein. Dieses Recht auf Teilhabe bezieht
sich jedoch nicht nur auf Menschen mit Behinderung, sondern grundsätzlich auf
alle Menschen in unserer Gesellschaft. Damit besteht also die gesellschaftliche und
staatliche Aufgabe, Teilhabebarrieren junger Menschen abzubauen und zwar unabhängig
davon, vor welchem Hintergrund es zu Exklusionserfahrungen kommt (religiöse
Zugehörigkeit, körperliche Beeinträchtigung, sexuelle Identität, Migrationserfahrung).
Diese Aufgabe lässt sich außerdem aus der UN-Kinderrechtskonvention, dem Grundgesetz
(Art. 3 Abs. 3 S. 2, Art. 6 GG) und sozialgesetzlichen Verpflichtungen (§1 SGB
VIII, §1 SGB IX) ableiten (vgl. van Driesten et al. 2021). Doch was bedeutet dies für die
Ausgestaltung in den Hilfen zur Erziehung?
In den Hilfen zur Erziehung steht der uneingeschränkte Teilhabeanspruch von Inklusion
zunächst vor einem Spannungsfeld - auf der einen Seite haben sich zahlreiche
stationäre Angebotsstrukturen ausdifferenziert, um den spezifischen Bedarfen junger
Menschen Rechnung tragen zu können; auf der anderen Seite darf dies nicht dazu führen,
dass gesellschaftlich trennende Strukturen unhinterfragt reproduziert werden. Gefordert
wird eine Öffnung der Leistungsangebote, die bestimmte Zielgruppen nicht mehr
von vornherein ausschließt. Gleichzeitig ist offensichtlich, dass nicht jede Einrichtung
jeden Bedarf decken kann. Auch ist im konkreten Einzelfall nicht immer jedes reguläre
Leistungsangebot sinnvoll. Richtungsweisend muss also immer der individuelle Bedarf
der jeweiligen Adressat*innen sein. Letztlich sind es die Adressat*innen selbst, die darüber
entscheiden können und müssen, inwiefern die Hilfe zu einem ‚spürbaren Mehr‘ an
sozialer Teilhabe beiträgt. An diesem ‚spürbaren Mehr‘ gilt es die inklusive Erziehungshilfe
zu bemessen.
In Bezug auf die Hilfen zur Erziehung meint Inklusion also das Wahrnehmen und Anerkennen
unterschiedlicher individueller Bedarfe und Bedürfnisse, die aus vielfältigen
Lebenskontexten entstehen. Diesen sollte in einer partizipativen Weise entwicklungsfördernd
und teilhabeermöglichend entsprochen werden, um die Selbstbestimmung der
Hilfesuchenden und Anspruchsberechtigten zu unterstützen. Mit dem Kinderschutz als
Maxime gilt es Gefahren für ein gelingendes Heranwachsen abzuwehren und gleichzeitg
Eltern mit und ohne Behinderungen in ihrem Recht auf eine selbstbestimmte Elternschaft
zu unterstützen.
Wie das Modellprojekt Inklusion jetzt! zeigt, ergeben sich daraus weitreichende Fragen für die eigene Handlungspraxis: Sind Leistungsbeschreibungen mit konkreten Zielgruppenformulierungen zu exklusiv? Ist das Formulieren von Ausschlusskriterien dabei noch legitim? Wird eine Diagnostik nach dem Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation, kurz ICF-CY, den Ansprüchen einer beteiligungsorientierten Bedarfsermittlung gerecht? Kann ein Wohngruppenangebot überwiegend von jungen Menschen mit Beeinträchtigung genutzt werden oder würde diese Zusammensetzung dem Inklusionsanspruch widersprechen? Sollten bauliche Maßnahmen von vornherein auf alle denkbaren Beeinträchtigungen ausgerichtet sein? Welche Fachkräfte sind für die Unterstützung junger Menschen und Eltern mit Behinderung geeignet und welche nicht? Ein Entweder-oder hinter solchen Fragen verstellt allzu schnell den Blick auf das, worum es eigentlich geht: Inklusion kann überall anfangen, aber hört nie auf! Inklusion ist also kein Ergebnis, sondern ein Prozess.
Inklusion formuliert kein Entweder-oder, sondern vor allem einen fachlichen Anspruch und dient als kritisches Korrektiv. Folgende Grundideen einer inklusiven Haltung prägen daher auch unser professionelles Selbstverständnis (van Driesten et al. 2021):
Es geht nicht darum, Inklusion für den wirtschaftlichen Erfolg nutzbar zu machen, sondern das Wohl der Adressat*innen in den Vordergrund zu stellen - auch dann, wenn es den Rationalitäten institutioneller Gefüge entgegenläuft.