InkluMa - Inklusion durch Mitarbeitende
Was brauchen Mitarbeitende auf dem Weg zu einer inklusiven Erziehungshilfe? Diese Leitfrage stellte sich uns seit Beginn des Modellprojektes. Mit der vorliegenden Übersicht über die erste Auswertung unserer Mitarbeitendenbefragung, die im Sommer diesen Jahres stattfand, können wir erste Antworten auf diese Fragestellung geben. Dabei werden Perspektiven, Zugänge und Wissensbestände der Fachkräfte mit Blick auf Inklusion systematisiert dargestellt sowie förderliche organisationale Faktoren für das fachliche Handeln der Mitarbeitenden im Bereich inklusiver Leistungserbringung identifiziert.
Aus den Erkenntnissen lassen sich Impulse sowohl für den Einrichtungsalltag als auch für den Verlauf des Modellprojektes ableiten.
Fokus der Fachkräftebefragung: Was brauchen Mitarbeitende auf dem Weg zu einer inklusiven Erziehungshilfe(-einrichtung)?
Die bisherigen Erfahrungen aus den Modellstandorten haben gezeigt, dass sich mit der konkreten inklusiven Weiterentwicklung der Einrichtungen auch die damit verbundenen Herausforderungen in der Alltagspraxis der Fachkräfte fachlich differenzierter abzeichnen. Diese Herausforderungen beziehen sich sowohl auf die jungen Menschen selbst, ihre Eltern und Angehörigen, als auch auf die Organisationsentwicklung der Erziehungshilfeträger. Aus diesem Grund wurde im Modellprojekt gemeinsam eine Fachkräftebefragung entwickelt. Sie soll dabei helfen, die Herausforderungen und Chancen - wie sie sich aus der Perspektive der Fachkräfte stellen - aufzunehmen, um diese Perspektiven der Mitarbeitenden systematisch in die Weiterentwicklung der Erziehungs- und Eingliederungshilfeeinrichtungen sowie des Modellprojekts "Inklusion jetzt!" einbeziehen zu können.
- Es sollten zum einen die Perspektiven, Zugänge und Wissensbestände der Fachkräfte mit Blick auf das Thema Inklusion in ihrem Arbeitsbereich erhoben werden.
- Zum anderen zielte die Erhebung darauf ab, organisationale Faktoren zu identifizieren, die für das fachliche Handeln der Mitarbeitenden im Bereich inklusiver Leistungserbringung förderlich oder hinderlich sein können.
- Aus den Erkenntnissen sollen sowohl Impulse für den Einrichtungsalltag als auch für den weiteren Projektverlauf gewonnen werden.
Die Entwicklung des Fragebogens erfolgte zusammen mit ausgewählten Modellstandorten des Modellprojekts "Inklusion jetzt!" sowie Vertreter*innen des Projektbeirats. Ihnen allen einen herzlichen Dank für Ihre Unterstützung! Der Fragebogen befindet sich im Anhang. Um möglichst viele Fachkräfte zu erreichen, wurde die Befragung online durchgeführt. Die Online-Befragung fand von Juni bis August 2021 statt. Die Zielgruppe der Befragung bilden Mitarbeitende in Einrichtungen der Erziehungs- und Eingliederungshilfe: Befragt wurden sowohl Fachkräfte, die am Modellprojekt beteiligt sind, als auch Fachkräfte, deren Einrichtungen sich nicht am Modellprojekt beteiligen, aber Mitglied in den Verbänden BVkE oder EREV sind. Eine Reduzierung allein auf die beteiligten Modellstandorte erschien vor dem Hintergrund des Erhebungsinteresses nicht notwendig. Durch die Öffnung der Befragung für alle Mitgliedseinrichtungen von EREV und BVkE sollten eine größere Teilnehmer*innenzahl und gegebenenfalls aufkommende Varianzen zwischen Projektbeteiligten und nicht Beteiligten abgebildet werden können. Für alle Fachkräfte war die Teilnahme an der Online-Befragung freiwillig.
Fazit - Inklusive Erziehungshilfen brauchen eine Debatte um Pflege, Unterstützung und Teilhabe
Die Daten legen nahe, dass die aktuellen Herausforderungen, die mit Inklusion verbunden werden, analog zu der Diskussion um das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) verlaufen, das im Sommer 2021 in Kraft getreten ist und sich insbesondere auf die Arbeit mit jungen Menschen mit Behinderung und ihren Familien bezieht. Dabei zeichnen die Mitarbeitenden ein differenziertes Bild der Herausforderungen. Sie gehen offen auf eine inklusive Entwicklung zu, zeigen aber auch Fortbildungsbedarfe auf und sehen gerade in den Feldern fachliche Lücken, die sie mit pflegerischen Aufgaben verbinden oder die sie im Bereich der Sonder- und oder Heilpädagogik verorten. Dies kann auch damit erklärt werden, dass nur wenige der Befragten bisher Erfahrungen in der Arbeit mit jungen Menschen mit sogenannten Mehrfachbehinderungen oder körperlichen sowie Sinnesbeeinträchtigungen haben. In diesem Kontext werden darum auch Erweiterungsnotwendigkeiten der multiprofessionellen Teams gesehen.
Zusammen mit der Auffassung der Befragten, dass insbesondere mehr Sonderpädagog*innen als anerkannte Fachkräfte in der Jugendhilfe tätig sein sollten, scheint sich damit allerdings auch die Verantwortung für eine inklusive Leistungserbringung zu verlagern - sie wird mehrheitlich bei den "Expert*innen" für Menschen mit Behinderungen verortet und weniger in den eigenen Tätigkeiten gesehen. Die Zusammenarbeit mit verschiedenen Professionen sollte jedoch nicht dazu führen, dass Inklusion als "ausgelagert" und der eigene pädagogische Blick auf die Adressat*innen als unzureichend verstanden wird. Es geht vielmehr darum, den eigenen pädagogischen Blickwinkel zu erweitern, um zu reflektieren, wie eine diskriminierungsfreie Teilhabe aller jungen Menschen erreicht werden kann. Generell kann darüber hinaus die Aufforderung gelesen werden, dass Verfahren - wie die Hilfeplanung - oder auch grundlegende Aufgaben - wie die Elternarbeit, aber auch pflegerische Aspekte - konzeptionell bislang zu wenig inklusiv entwickelt wurden. Diese Verfahren und Aufgaben systematisch und methodisch nachvollziehbar in ein Verhältnis zur Ermöglichung eines "selbstbestimmten Interagierens" von jungen Menschen in der sozialen Teilhabe zu setzen, scheint spätestens mit der Neuformulierung des § 1 des SGB VIII im KJSG geboten.
Insgesamt unterstreichen die Befragten, dass sie sich am Prozess der Entwicklung inklusiver Einrichtungsstrukturen intensiv beteiligen möchten. Es scheint einen hohen Bedarf an einer konzeptionellen Verortung und an transparenten fachlichen Perspektiven der Einrichtungen zu geben, die mit den Mitarbeitenden erarbeitet werden. Darin liegt das Potenzial, um sowohl die vorhandenen Mitarbeitenden für die inklusiven Erziehungshilfen weiter- und fortzubilden als auch neue Professionen mit in den Kanon der Belegschaft aufzunehmen. Eine Beteiligung der Mitarbeitenden an diesen Prozessen verspricht einen hohen positiven Effekt, da sich der überwiegende Teil der Befragten wünscht, an organisationalen Prozessen beteiligt zu werden.
Und nicht zuletzt: Mit Blick auf die pädagogischen Konzepte spricht vieles dafür, dass die Akzente aus dem Projekt "Inklusion jetzt!" richtig gesetzt und besonders die Themenschwerpunkte Elternarbeit und Partizipation in das Bewusstsein der Befragten gehoben wurden.